Risikokapitalfinanzierung im Lifesciencessektor?

Das aktuelle Bewerten und Überarbeiten der EU-Pharmagesetzgebung birgt die große Chance, Europas Führungsrolle in der Forschung und Entwicklung im Gesundheitsbereich zurückzugewinnen.

Herr Westermann, was wird benötigt, damit innovative Startup-Unternehmen aus der biowissenschaftlichen Forschung Behandlungen und Medikamente bis zur Marktreife vorantreiben können?

Es gibt vielfältige Unterstützungen und Förderungen für Forschung und Entwicklung gerade im akademischen Bereich. Die dort entwickelten Wirkstoffe und Therapien müssen aber einen langen Weg zurücklegen, bis sie irgendwann den Patienten erreichen. Für die Validierung, klinische Studien und die Entwicklung junger Unternehmen braucht es Know-how aber auch viel Kapital. Gerade in der frühen Phase ist jedoch das Risiko des Scheiterns oft groß. Hier geht es nicht ohne die Expertise und Risikobereitschaft des Venturecapitals (VCs). Die Investoren, die sich in den Fonds engagieren, wollen natürlich dieses Risiko so klein wie möglich halten und erwarten von den Venturecapitalfirmen, dass diese mit Hilfe ausgefeilter Modelle vielversprechende Anlagemöglichkeiten finden und entwickeln. Aktuell plant die EU-Kommission, die allgemeinen EU-Rechtsvorschriften für Humanarzneimittel zu bewerten und zu überarbeiten.

Welches Ziel wird dabei verfolgt?

Die EU-Kommission sucht den großen Wurf – will zukunftssicher den Rechtsrahmen gestalten und Zugang zu innovativen Medikamenten und Behandlungen in der ganzen EU sichern. Nach unseren Informationen umfasst der Gesetzestext im Entwurf schon 400 Seiten mit 1 200 Seiten Er­läuterungen. In dem Vorhaben liegen Chancen aber auch Risiken. Zum Beispiel ist vorgesehen, den Patentschutz durch eine Verkürzung der Laufzeit zu schwächen und gleichzeitig zu fordern, neue Medikamente in allen EU-Ländern zeitgleich einzuführen. Das kostet wesentlich mehr Geld und schwächt die Vermarktungschancen kleinerer Unternehmen. Es verändert die Risikobewertung von Investments für Venturecapital – und das nicht zum Positiven. Kapital fließt in andere Sektoren oder andere Länder ab.


Über Rainer Westermann

Rainer Westermann ist Vorsitzender des Vorstandes der Life Sciences Acceleration Alliance e.V. (LSAA). Er war als Berater des Topmanagements für eine Vielzahl von Blue-Chip-Unternehmen in Deutschland, Kanada und den USA tätig. Er leitete professionelle Dienstleistungsunternehmen und war als Corporate Officer für den Aufbau, die Verbesserung und den Schutz der Unternehmensreputation verantwortlich. Im Jahr 2021 wurde er zum Vorsitzenden der LSAA gewählt.


Welche Ergebnisse förderte in diesem Kontext Ihre neue Studie zutage?

Obwohl Europa immer noch führend ist im Bereich der humanmedizinischen Forschung, fällt unser Kontinent rapide zurück. So investierten US-amerikanische Biotechnologieunternehmen 2020 etwa elfmal so viel Geld in ihre Forschung und Entwicklung wie europäische Unternehmen. Zudem sammeln Venturecapitalfirmen in Europa drei- bis viermal weniger Kapital ein als in den USA. Doch ohne das Wagniskapital können sich innovative Angebote im Lifesciencesökosystem nicht entwickeln. Hinzu kommt, dass VC-Firmen in Europa immer mehr mit China konkurrieren, denn auch dort steht inzwischen mehr Kapital zur Verfügung als hier: je Finanzierungsrunde durchschnittlich zwei- bis dreimal so viel.

Wozu führt diese schwächere Kapitalausstattung in der EU?

Diese schwächere Kapitalausstattung in der Frühphase oder Early Stage europäischer Lifesciencesunternehmen führt immer häufiger zum sogenannten Death-Valley-Effekt. Das heißt, Unternehmen fehlt das nötige Kapital und sie trocknen finanziell aus. Aus der Not fliehen sie in Regionen, in denen Kapital leichter zu beschaffen ist und wo die Regulierungen es einfacher und billiger machen, Innovationen auf den Markt zu bringen – und das auch noch häufig zu besseren Preisen als in Europa.

Was schlagen Sie vor, um ein stärkeres Innovationsökosystem in Europa zu generieren?

Ein verstärktes Fördern von Innovationen im Frühstadium des Lifesciences­ökosystems. Das Abbauen regulatorischer Hürden, um die Umsetzung akademischer Forschung in innovative Medikamente und Behandlungen für Patienten in Europa sicherzustellen. Einen starken Patentschutz zum Absichern von Risikokapitalinvestitionen in diese innovativen Lösungen. Und zuletzt eine angemessene Wertschätzung und Bezahlung innovativer Medikamente zum Nutzen der Patienten.

Herr Westermann, welche Rolle spielt der Patentschutz im Hinblick auf die Risikokapital-finanzierung von innovativen Lösungen im Gesundheitswesen?

Es ist vielen nicht bewusst, wie unerlässlich Risikokapital für junge Unternehmen ist. Gerade im Life Sciences Sektor wird viel Geld in einer frühen Phase benötigt. Nach der Definition eines Wirkstoffansatzes muss dieser schließlich Phase 1 der klinischen Studien passieren, in der viele gute Ansätze scheitern. Normal braucht es 10 bis 15 Jahre, bis ein neues Medikament marktreif ist. In der Regel ist nur eines von zehn Unternehmen auch wirtschaftlich erfolgreich. Was bleibt, ist das zugrundeliegende Patent, das sich verkaufen oder für mögliche andere Indikationen verwerten lässt. Für die wenigen erfolgreichen Unternehmen ist es wichtig, dass es einen längeren Patentschutz gibt, der es erlaubt die enormen Investitionen wieder einzuspielen. Ist eine Investition zu riskant und die Aussichten auf einen Return on Investment zu gering, wird anderswo investiert.

Laut unserer Bundesregierung brauchen und wollen wir mehr Unternehmen wie Biontech in Deutschland.
Was ist bisher in diesem Kontext geschehen?

Im Koalitionsvertrag stehen viele gute Sätze. Unter anderem: „Deutschland soll führender Start-Up-Standort in Europa werden. Der Zukunftsfonds wird den Wagniskapitalmarkt auch für institutionelle Investoren öffnen und die deutsche Finanzierungslandschaft über eine flexible Modulausgestaltung gezielt ergänzen.“ und „Wir wollen im Rahmen der bestehenden Förderstrukturen auch die Entwicklungsschritte von der Innovation hin zum Markteintritt unterstützen.“ Das jüngste GKV-Finanzstabilisierungsgesetz erreicht aber das Gegenteil. Sogenannte für Patienten wichtige Schrittinnovationen werden in der Logik des deutschen Preissystems bestraft du schaden dem Standort.

Welche Auswirkungen haben die schwächeren VC-Finanzierungsströme in Europa und was bedeutet das für unsere europäischen und deutschen Patienten?

Es können weniger Unternehmen gefördert werden. Aussichtsreiche startups müssen sich Geld aus dem Ausland holen, was oft mit einer Verlagerung der Forschung und Entwicklung sowie der Zentralfunktionen einhergeht. Studien werden eher im Ausland gemacht. Medikamente dort zuerst zugelassen und verfügbar gemacht.

Warum bremst MDR z.B. MedTech-Innovationen?

MDR setzt den Zulassungsrahmen für medizintechnische Produkte. Europa war in dem Sektor bis vor wenigen Jahren führend. Nach dem Skandal mit minderwertigen Brustimplantaten wollte die Politik einen höheren Patientenschutz erreichen, indem Zulassungsanforderungen erhöht wurden. Als Folge müssen auch langbewährte Lösungen, vom Chirurgieroboter zu Implantaten, neu zugelassen werden. Dies ist für Produkte, die schon länger im Markt sind, unwirtschaftlich. Bewährte Geräte dürfen in der EU nun nicht mehr eingesetzt werden und Patienten haben keinen Zugang mehr.

Welche politischen Voraussetzungen benötigt ein starkes Innovationsökosystem in Europa?

Ein starker Patentschutz zum Absichern von Risikokapital-Investitionen in innovative Lösungen.
Eine angemessene Wertschätzung und Bezahlung innovativer Medikamente zum Nutzen der Patienten.
Verstärktes Fördern von Innovationen im Frühstadium des Life-Sciences-Ökosystems. Abbauen regulatorischer Hürden, um die Umsetzung akademischer Durchbrüche aus der Forschung in innovative kommerzielle Anwendungen für Patienten in Europa.

 

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